Eine gemeinsame Mahlzeit endete nicht selten damit, dass Joié ihr Gesicht über und über mit Essbarem beschmierte und ihr Bruder sich deswegen über sie kaputtlachte.
Auch heute bahnte sich so etwas wieder einmal an. Joié gab sich zumindest alle Mühe, ihrem Ruf gerecht zu werden, während sie sich die Pfannkuchenstückchen, die von ihrer Mutter in mundgerechte Stücke zerschnitten worden waren, in den Mund schob.
Natürlich hatte sie auf ihre Lieblingskombination aus Erdbeeren und Ahornsirup bestanden und vor allem den klebrigen Sirup bereits in großzügigen Mengen auf ihren Wangen und dem Kinn verteilt.
Aiden, der nur ein wenig Sirup im Gesicht hatte, hatte das Missgeschick seiner Schwester bisher noch nicht bemerkt, war noch damit beschäftigt jetzt auch seiner Mutter von seinem Traum zu berichten, die ihm aufmerksam zuhörte.
Vian beobachtete seine Familie schweigend.
Er hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt nachdem er selbst sein Frühstück beendet hatte und genoss jetzt einfach nur das Gefühl, noch ein wenig Zeit mit seinen Lieben zu verbringen. Den Blick auf seine Frau gerichtet beobachtete er ihr Mienenspiel, wie ihre Augen funkelten und ihr Mund sich aufgrund von Aidens Geschichte zu einem Lächeln verzog.
Sie schien seinen Blick auf sich zu spüren, sah ihn jetzt ebenfalls an und ein weiches, wenn auch gleichzeitig trauriges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Vian wusste so wie sie, dass es an der Zeit war, den Kindern zu sagen, dass er heute zu einer längeren Reise aufbrechen würde.
Er und Yuriko erzählten den Kleinen nie genau, was Vian auf seinen Dienstreisen tat, denn sie waren noch zu klein, um das zu verstehen. Trotzdem würde es ein schwerer Abschied werden, denn beide Kinder hingen sehr an ihrem Vater.
Vian hob seine Tochter, die sich gerade das letzte Stück ihres Pfannkuchens in den Mund geschoben hatte, auf den Schoss und stupste ihr mit dem Finger an die klebrige Nasenspitze.
„Also, Jo, du musst mir jetzt etwas versprechen, ja? Etwas ganz, ganz Wichtiges.“
Er schmunzelte bei den großen Augen, die seine Tochter machte, griff nach dem kleinen Waschlappen neben ihr und wischte ihr damit den Sirup vom Gesicht. Dabei sah er auch Aiden an, der seine Erzählung mittlerweile beendet hatte.
„Und du auch, Aiden.“
Er wartete bis auch der Junge auf seinen Schoss geklettert war und hielt jetzt jedes der Kinder auf einem Knie.
„Ihr müsst mir ganz fest versprechen, dass ihr in den nächsten Tagen ganz besonders lieb zu Mummy seid, in Ordnung? Weil ich nämlich heute für eine Weile verreisen muss, wegen meiner Arbeit und das findet sie so richtig doof. Da müsst ihr sie ein bisschen aufheitern. Meint ihr, dass ihr das hinbekommt?“
Ein Blick in die Gesichter seiner Kinder zeigte ihm, wie richtig er mit seiner Vermutung gelegen hatte. Joié schien sofort darüber nachzudenken, wie sie ihre Mutter aufheitern könnte, während Aiden ihn erschrocken anstarrte.
„Vielleicht könnt ihr sie ja auch dazu überreden, dass ihr Noah besucht, hm?“
Joié riss aufgeregt die Arme hoch bei dem Gedanken daran, ihren Patenonkel, der immer nur Quatsch im Kopf hatte, vielleicht bald wiedersehen würde. Mit einem Jauchzen sprang Jo von Vians Schoss und begann gleich damit, ihre Mutter von der Idee zu überzeugen.
Vian lächelte bei ihrer kindlichen Freude, war aber gleichzeitig ein wenig gekränkt, dass sie seine baldige Abwesenheit anscheinend so einfach hinnehmen würde. Er ahnte, dass es spätestens heute Abend Tränen geben würde, wenn Yuriko ihrer Tochter an seiner Stelle vorlesen würde.
Einen Moment lang beobachtete er Joié, wie sie Yuriko nachlief, die bereits dabei war das Geschirr des Morgens in die Küche zu bringen. Das warme Lachen seiner Frau klang ihm in den Ohren und er prägte sich diesen Laut gut ein.
Aiden reagierte ganz anders als seine kleine Schwester.
Ohne einen Laut war er von Vians Schoss gerutscht und hinüber ins Wohnzimmer gestapft, wo er jetzt mit vor der Brust verschränkten Armen auf dem Sofa saß und böse vor sich hin starrte.
Vian zögerte kurz, bevor er aufstand und seinem Sohn folgte. Er ließ ein wenig Abstand zwischen sich und dem Jungen und setzte sich neben ihn, sah ihn einen Moment nur an, bevor er die Hand hob und ihm sacht durchs Haar fuhr.
„Du musst nicht sauer sein, Aiden. Ich bin bald wieder da. Ihr werdet bestimmt ganz viel Spaß haben Joié, Mum und du. Und tagsüber bist du ja auch im Kindergarten. Das magst du doch, oder nicht?“
Besorgt sah er den Jungen an, legte den Kopf ein wenig schief und wartete auf eine Antwort.
„Klar mag ich den Kindergarten. Aber... Aber Daddy, das ist voll unfair!“, brachte Aiden schließlich hervor und sah ihn endlich an.
Dem Kleinen standen Tränen in den Augen und sein Gesicht war ein wenig rot vor Wut und Aufregung. Noch immer hielt er die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt, dachte gar nicht daran, die Lücke zwischen sich und seinem Vater zu schließen.
„Weil, du hast doch versprochen, dass wir in den Ferien ein Baumhaus bauen und die Ferien sind doch schon ganz bald, hat Mummy gesagt, und dann muss ich nämlich nicht in den Kindergarten gehen! Und jetzt machen wir das bestimmt nicht wegen deiner blöden Arbeit. Das ist voll unfair, weil John aus meiner Gruppe hat doch auch ein Baumhaus und dem hab ich doch schon erzählt, dass wir auch eins bauen wollen und jetzt machen wir das doch nicht und dann — “
Der Junge sprach wegen seiner Enttäuschung so schnell, dass seine Stimme sich beinahe überschlug, bevor er sich schließlich unterbrach. Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, versuchte Aiden, wütend mit dem Fuß auf den Boden zu stapfen. Doch seine Beine waren dafür zu kurz und stattdessen schlug seine Hacke nur leicht ans Sofapolster.
Vorsichtig rutschte Vian näher an seinen Sohn heran, legte den Arm um ihn und zog ihn an sich. Die schmächtige Statur des Kleinen, die sich jetzt an ihn kuschelte, ging in seinem Arm beinahe unter.
„Aiden, ich verspreche dir, wir bauen dein Baumhaus sobald ich wieder da bin. Aber weißt du, meine Arbeit ist ganz wichtig.“
Vian sah auf den Jungen hinunter und blickte in die großen grünblauen Augen, die eine Mischung aus seinen eigenen und Yurikos waren.
„Ist die dir denn wichtiger als wir?“, fragte Aiden, ehrlich besorgt, vielleicht sogar ein wenig eifersüchtig und gekränkt.
Mit einem Kopfschütteln, das dem Jungen zeigte, wie ernst seine Worte waren, zog Vian ihn wieder in seinen Arm und strich ihm wiederholt mit der Hand über den Kopf.
„Nichts ist wichtiger als ihr, Aiden.“
Mit sorgfältig gewählten leisen Worten versuchte er, Aiden zu erklären, warum seine Arbeit so wichtig war. Er tat dies, ohne Details zu nennen, die seinem Sohn hätten Angst machen können, wollte ihm jedoch trotzdem erklären, wieso er verreisen musste.
Der Junge sah nachdenklich zu ihm hoch, legte dabei den Kopf ein wenig schief und biss sich von innen auf der Unterlippe herum. Vian wusste, dass er über seine Worte genau nachdachte.
Aiden war sehr intelligent, ließ sich stets alles erklären, und dachte lange über Dinge nach. Oft verlangte Aiden, dass man ihm Dinge genau erklärte, sodass er sie verstehen konnte. Natürlich gab es auch Momente, in denen er ganz Kind war, nicht nachdachte und einfach nur spielen wollte. Das waren die Augenblicke, in denen er gemeinsam mit Joié die unmöglichsten Dinge ausheckte. Ging es allerdings um etwas, was ihn interessierte, fragte er so lange nach, bis er diese Sache soweit verstanden hatte, wie er es für richtig hielt. In gewisser Weise war er ein anstrengendes Kind, denn nicht immer hatten Vian oder Yuriko die Zeit oder auch das Wissen, um ihm alles zu erklären und es gab Momente, in denen Aidens Wissbegierde ihre Geduld ein wenig strapazierte.
Plötzlich nickte der Kleine einmal, hatte offensichtlich das, was Vian ihm erklären wollte, verstanden. Dann sah er wieder zu seinem Vater hoch, fuhr sich mit dem Ärmel des Schlafanzuges über die Augen, um die Tränen heraus zu wischen.
„Und wann kommst du wieder? Ganz bald, oder? Weil du darfst nicht zu lange wegbleiben!“
Schmunzelnd strich Vian ihm noch einmal durchs Haar: „Ich komme so schnell wieder, wie ich kann. Wenn ihr Mum überredet, Noah zu besuchen wirst du bestimmt gar nicht merken, dass ich nicht da bin.“
Zufrieden mit dieser Antwort kuschelte sich sein Sohn an ihn und Vian drückte ihn einmal fest.
„Und du musst mir noch etwas versprechen, Aiden.“
Wieder sahen sie einander an, beide hatten jetzt einen ernsten Gesichtsausdruck aufgesetzt.
„Versprich mir, dass du dir nicht so viele Sorgen machst, in Ordnung?“
Vian erwiderte den Blick seines Sohnes einen Moment, bevor dieser einmal nickte.
* *
Mittlerweile hatte Yuriko gemeinsam mit Jo den Esstisch abgeräumt und das Geschirr in die Spülmaschine verfrachtet. Mit dem Kind auf der Hüfte trat sie wieder in den großen Wohn-Essbereich des Hauses und sah kurz zum Sofa hinüber. Der Anblick ließ sie lächeln, doch nur bis zu dem Moment, in dem ihr Blick auf die Uhr an der Wand fiel. Sie stellte ihre Tochter vorsichtig auf dem Boden ab und strich einmal über den honigbraunen Haarschopf. Sogleich lief das Mädchen zu einem kleinen Tischchen, das in der Nähe des Sofas stand und auf dem ihre Malsachen verteilt lagen. Sie hatte Yuriko gefragt, ob sie Vian ein Bild malen durfte, das er mitnehmen konnte. Yuriko wusste wie sehr Vian sich über die Geste freuen würde und hatte Jo in ihrer Idee bestärkt.
Jetzt ging sie langsam zum Sofa hinüber, streckte die Hand aus und strich auch Aiden über den Kopf.
„Na, was meinst du, willst du Jo helfen, ein Bild für Dad zu malen, sodass er es mitnehmen kann? Er muss gleich los.“
Sie spürte Vians Blick auf sich, sah aber weiter auf ihren Sohn hinunter, der jetzt einmal nickte und zu Joié hinüberging. Einen Moment lang sah Yuriko den beiden zu, bevor sie ihre Augen Vian zuwandte. Er lächelte entschuldigend, doch sie schüttelte nur leicht den Kopf und streckte die Hand nach ihm aus.
Mit einem kurzen Blick zu den Kindern versicherten sie sich noch einmal, dass diese beschäftigt und friedlich sein würden, während sie nach oben gingen, um seine restlichen Sachen zusammenzusuchen und sich unbeobachtet voneinander zu verabschieden.
* *
Wenig später hatte Vian seine Tasche in dem dunklen Wagen verstaut und ging zurück zur Tür, um Abschied von seiner Familie zu nehmen.
Joié hatte sich von Yuriko auf den Arm nehmen lassen und klammerte sich an ihren Hals, schien langsam zu verstehen, was vor sich ging. Das kleine Mädchen war ungewöhnlich still, hatte wieder den Daumen im Mund und ihren Otter unterm Arm. So verhielt sie sich normalerweise nur, wenn sie müde oder traurig war. Auch Aiden stand neben seiner Mutter in der offenen Tür, hatte eine Hand in den Stoff ihres Cardigans gekrallt und hielt in der anderen das Bild. Wortlos streckte er Vian das Blatt Papier entgegen, der es nahm und einen Blick darauf warf.
Die Kinderzeichnung zeigte wohl ihren Garten und den großen Baum darin. In die Baumkrone hatte Aiden ein Baumhaus gemalt. Am Fuß des Baumes standen ein paar Gestalten, die offensichtlich Hämmer und andere Werkzeuge in den Händen hielten und ein breites Grinsen auf den Gesichtern hatten. Joié hatte alles mit einer bunten Blumenwiese dekoriert.
Vian musste lächeln, während er vor dem Jungen in die Hocke ging und ihn fest in den Arm nahm.
„Ich vergesse es bestimmt nicht, Aiden. Wenn ich wieder hier bin, bauen wir dein Baumhaus, versprochen.“
Sacht küsste er ihn auf die Stirn, bevor sein Sohn sich komplett in den Falten von Yurikos Cardigan verstecken konnte und richtete sich dann wieder auf.
Stattdessen nahm er jetzt Joié auf den Arm und drückte auch sie sacht an sich. Das kleine Mädchen weinte zwar nicht, war aber deutlich ruhiger als sonst und wollte ihn scheinbar nicht mehr loslassen.
Vian strich ihr noch einmal durch das weiche Haar, küsste sie auf die Nase und flüsterte ihr leise zu: „Pass auf, dass du Mummy nicht völlig zur Weißglut treibst, ja? Dann hätten wir nämlich ein Problem, oder?“
Verschmitzt grinsend sah er sie an, wartete, bis sie ein wenig unsicher nickte und stellte sie dann auf dem Boden neben ihrem Bruder ab.
Zuletzt wandte er sich noch einmal Yuriko zu.
Obwohl sie sich bereits in Abwesenheit der Kinder voneinander verabschiedet hatten, zog er sie nun wieder in die Arme. Schon im nächsten Moment spürte er ihre vergleichsweise kleinen Hände in seinem Nacken und auf seiner Schulter, ihren Körper an seinen geschmiegt und ihre Lippen auf seinen. Während er sie festhielt und küsste dämmerte es ihm, dass sie nur mühsam die Tränen zurückhielt und er den Abschied nicht schwieriger machen sollte, als unbedingt nötig.
Im nächsten Moment löste sie ihre Lippen von seinen.
„Pass bloß auf dich auf, hörst du? Wehe, du passt nicht auf dich auf, dann bring ich dich um!“, murmelte sie, strich mit den Händen über seine Brust, hielt sich kurz an seiner Krawatte fest, bevor sie sich gänzlich von ihm löste und ihn ein wenig von sich weg schob.
Vian nickte ihr zu, küsste auch sie noch einmal auf die Stirn, nachdem sie Joié wieder auf den Arm gehoben hatte.
„Ihr werdet mir fehlen. Ich bin bald wieder da.“
Er versuchte, seine eigene Sorge aus seiner Stimme herauszuhalten, sah alle drei noch einmal an, bevor er sich umdrehte und zum Wagen ging. Nachdem er eingestiegen war, warf er einen letzten Blick zu den winkenden Kindern und der jungen Frau, die sich größte Mühe gab, ihre Tränen zurückzuhalten, startete den Motor und fuhr los zum Flughafens.
Im Rückspiegel beobachtete Vian noch kurz, wie sie in der Tür standen und ihm nachsahen, dann bog er um die Ecke und verlor die drei aus den Augen.
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